Von der Faser bis zum Formteil
Dietzenbach, 26.08.2019 – Von der Faser bis zum Formteil
Firmenchefin Claudia Berck über die Schwerpunkte im Keramik-Portfolio von Kager
Das Industrie-Handelshaus Kager offeriert ein breites Spektrum an Hochtemperatur-Lösungen auf keramischer Basis für Anwendungen in Industrie, Forschung und Handwerk. Derzeit reicht das Angebot von hitzefesten Keramik- und Polykristallin-Fasermaterialien über mechanisch bearbeitbare Festkeramik-Halbzeuge bis hin zur Vor- und Kleinserien-Fertigung. Im Interview gibt Firmeninhaberin Claudia Berck detaillierte Einblicke in die Produktauswahl und die aktuelle Projektarbeit des Unternehmens.
Frau Berck, Ihr Unternehmen stellt ein überaus breit gefächertes und stetig wachsendes Sortiment an keramischen Produkten für Hochtemperaturanwendungen bereit. Wie sorgen Sie denn dafür, dass Ihre Kunden hier den Überblick behalten?
Berck: Nun, unser Programm ist grundsätzlich sehr gut sortiert. Neben Klebstoffen, Vergussmassen und Coatings auf keramischer Basis bieten wir zwei große Gruppen von Keramikprodukten. Dabei handelt es sich zum einen um eine Auswahl von Keramikfaser-Produkten und zum anderen um ein Sortiment an festkeramischen Halbzeugen. Hinzu gekommen ist in den vergangenen Jahren das Angebot, im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten auch Prototypen, Muster und Vorserien zu fertigen.
Heißt das, dass Kager inzwischen auch als Produzent und Zulieferer auftritt?
Berck: Im Prinzip ja. Allerdings nur im Bereich kleinster Losgrößen. Ausgehend von unserer Spezialisierung auf Hochtemperaturprodukte beschäftigen wir uns ja schon seit etlichen Jahrzehnten mit der Bereitstellung keramischer Halbzeuge für den Einsatz in Chemietechnik, Elektroindustrie, Thermodynamik und vielen anderen Branchen. Durch die zunehmende Intensität unserer Beratungstätigkeit haben wir aber inzwischen viel fertigungs- und anwendungstechnisches Knowhow erworben, das wir nun auch für die Herstellung von Sonderanfertigungen in kleinen Stückzahlen nutzen.
Können Sie anhand einiger Beispiele konkretisieren, was das in der Praxis bedeutet?
Berck: Im Rahmen verschiedener Entwicklungsprojekte für Kunden in Sensortechnik, Elektrotechnik und Lineartechnik haben wir zuletzt beispielsweise keramische Messspitzen-Halterungen und Isolationsringe sowie Gleitschienen und Formteile zum Schutz sensibler Bauteile realisiert. Wir können hierzu auf eine Vielzahl von Keramik-Halbzeugen aus unserem eigenen Portfolio zugreifen.
An welche keramischen Halbzeuge denken Sie hierbei vorrangig?
Berck: Nun, das hängt vom konkreten Fall ab – also den Anforderungen des Kunden, dem geplanten Einsatzgebiet der Bauteile und dem vorgegeben Temperaturfenster. Je nach Lage der Dinge greifen wir auf unsere Auswahl von festkeramischen Platten, Stangen, Rundstäben oder Scheiben aus Keramikwerkstoffen zu oder auf unsere hitzefesten, leichten Keramikfaservliese und -papiere. Mitunter kommen auch Produkte unseres Kleb- und Dichtstoff-Sortiments zum Einsatz – etwa wenn Bauteile aus mehreren Elementen zusammengefügt oder vergossen werden müssen oder Oberflächen zu versiegeln sind.
Für welche Kundengruppen sind denn beispielsweise die Festkeramik-Halbzeuge interessant?
Berck: Wenn Entwickler oder Konstrukteure mit Metall und Kunststoff nicht weiter kommen, greifen sie ja oft zu keramischen Werkstoffen. Häufig nachgefragt werden dann solche Festkeramiken, die sich mechanisch gut bearbeiten lassen. In unserem Sortiment sind das vor allem die Festkeramik des Typs 9020 – ein Aluminiumsilikat beziehungsweise Pyrophylitmineral – und gelegentlich der Typ 9600 – ein Aluminiumoxid. Die Festkeramik 9020 ist ungebrannt bis 650° C und fertigt gebrannt bis 1100° C hitzefest. Sie lässt sich mit Standardwerkzeugen aus gehärtetem Stahl drehen, fräsen, sägen und bohren. Daraus fertigen unsere Kunden beispielsweise Buchsen, Bolzen, Scheiben, Tiegel und Spulen für Wärmeträger, Schmelzvorrichtungen und Isolationsaufgaben. Einige Automobilbauer nutzen diese Festkeramik auch für Dichtungen und Isolationselemente. In der Luftfahrt entstehen daraus Gasdüsen und in der Elektrotechnik werden daraus Spulenformen und Widerstandsträger hergestellt. Die Festkeramik Typ 9600 ist vorgebrannt bis 1360°C temperaturbeständig und nach dem Nachbrennen sogar bis 1700°C.
Und an welche Anwender richten Sie sich mit Ihren keramischen Faserprodukten?
Berck: Hierbei handelt es sich um hitzefeste Keramikfaser- und Polykristallin-Produkte, die sich je nach Variante für extreme Einsatztemperaturen von bis zu 1850° C eignen. Es sind daher meist Hochvakuum-Spezialisten, Ofentechniker, Motorenbauer sowie Anwender aus Sintertechnik, Feuerfest-Industrie und Isoliertechnik, die diese Art der Halbzeuge anfordern. Der Fokus liegt hierbei auf Platten, Matten, Papieren und Vliesen unterschiedlicher Dicken aus biolöslichen AES-Erdalkali-Silikatwollen, bindemittelhaltigen ASW-Aluminiumsilikatwollen und PCW-Polykristallinwollen. Zum Teil liefern wir diese Produkte auch als lose Füllstoffe und formbare Knetmassen.
Sie haben es bei Ihrem Kunden ja vermutlich meist mit hochqualifizierten Werkstoff-Ingenieuren zu tun. Wie gelingt es Ihnen denn, diesen Fachleuten auf gleicher Augenhöhe zu begegnen?
Berck: Der Einsatz von keramischen Hochtemperatur-Materialien erfordert stets fundamentales Werkstoffwissen und meist viel Erfahrung. Für die Fragen der Kunden steht bei uns daher ein kompetentes Beraterteam bereit, das bei der Auswahl des richtigen Werkstoff und Halbzeugs hilft. Selbst hochqualifizierte Keramik-Fachleute nehmen die Ratschläge und Tipps unserer Berater gerne an.
Um welche Themen kreisen denn die Beratungsgespräche in solchen Fällen?
Berck: Zum einen geht es hierbei oft um die thermisch-physikalischen Eigenschaften der Keramik-Halbzeuge. Also etwa um Temperaturfestigkeit, Temperaturwechselbeständigkeit, Wärmeleitfähigkeit sowie Druckfestigkeit und dielektrische Festigkeit. Zum anderen drehen sich viele Gespräche um ganz praktische Aspekte wie etwa die Kompatibilität unserer Werkstoffe mit anderen Materialien sowie die richtige Auslegung der Isolationseigenschaften und Einsatzfähigkeiten. Auch die Zusammensetzung der Werkstoffe und die damit in Verbindung stehende Problematik der Kennzeichnungspflicht ist ein häufiges Beratungsthema.
Kennzeichnungspflicht? Was ist damit gemeint?
Berck: Für manche Keramikfaser-Produkte schreibt der Gesetzgeber eine Kennzeichnungspflicht vor, was ihre Verwendung einschränkt, für andere hingegen nicht. Nicht kennzeichnungspflichtig sind die AES-Hochtemperaturglaswollen. Sie bestehen aus amorphen Fasern, die aus Calcium-, Magnesium-, Silizium- und Zirkonoxid hergestellt werden. In ihrer reinsten Form eignet sich das Material für Temperaturen bis maximal 900° C; mit einem höheren Anteil von Magnesium- und Siliziumdioxid lässt es sich aber auch für höhere Temperaturen auslegen. Auch unsere Polykristallinwolle ist nicht kennzeichnungspflichtig. Deren Fasern werden in einem Sol-Gel-Verfahren mit anschließender Wärmebehandlung gewonnen, wobei der Aluminiumoxid-Gehalt der Faser bei über 70 Prozent Gewichtsanteil liegt.
Welche neuen Produkte werden Sie demnächst in das Kager-Keramik-Programm mit aufnehmen?
Berck: Das werden wir gegen Ende des Jahres entscheiden. Derzeit sind wir in intensiven Gesprächen mit verschiedenen Herstellern. Die ersten Neuerungen wird es vermutlich im Bereich unserer Keramik-Klebstoffe geben. Außerdem werden wir in unserem hauseignen Technikum weiter keramische Kombinationslösungen testen, denn hier sehen wir noch viel Entwicklungspotenzial.
Kager betreibt also auch eigene Entwicklungsarbeit?
Berck: Nur bezogen auf spezielle Anwendungen, ja. Wir haben schon vor geraumer Zeit festgestellt, dass sich viele unserer Keramikprodukte zu interessanten Systemlösungen kombinieren lassen. So können wir unseren Kunden im Ofenbau beispielsweise die Möglichkeit bieten, durch die Kombination von feuerfesten Keramikfaserplatten und -papieren mit dem Keramikkleber Ceramabond 671 einfach und kostengünstig Reparaturen an Auskleidungen vorzunehmen. Ein weiteres Beispiel für ein erfolgreiches Systemprodukt ist die Kombination vorkonfigurierter Keramikplatten oder -papiere mit einem 1K-Keramikcoating zur Vermeidung von Abfaserungen. Mit minimalem Aufwand lassen sich damit emissionssichere und temperaturresistente Segmente zur Auskleidung von Öfen, Abgasleitungen, Schloten und Thermokammern anfertigen. Wie gesagt, auf diesem Gebiet sehen wir noch viel Potenzial.
Frau Berck, wir danken Ihnen für das Gespräch.
((Autor: Marco Sturm, Freier Fachjournalist, Darmstadt))
Dietzenbach, August 2019